Geschichte des Kontratanzes

Soweit ich weiß, wurde Kontratanz zum ersten Mal von Homer erwähnt, als er im 18. Gesang der Ilias die neue Rüstung des Achill beschrieb: Einen Tanzplatz auch schuf der hinkende Feuerbeherrscher ... Jünglinge dort und reichumworbene Jungfrauen tanzten den Reigen, an den Händen einander sich haltend ... Kreisend hüpften sie bald herum mit beflügelten Schritten, so wie der Töpfer prüfend mit seiner Hand die Scheibe dreht, ob sie auch laufe; und dann wieder in Reihen gegeneinander. Zahlreich stand das Gedränge um den lieblichen Reigen versammelt, und ein göttlicher Sänger schlug in der Mitte die Lyra.

Prunk-Axt Danach ist jedoch für dreitausend Jahre nichts Gewisses mehr zu erfahren. Ich glaube aber, daß Kontratanz im weitesten Sinne unter dem Einfluß der Wikinger entstand. Warum? Betrachtet die hier gezeigten Kunstwerke. Saga Völker, die derart verschlungene Muster entwerfen, verstehen und genießen konnten, waren sicher auch in der Lage, Tänze mit den verschlungenen Mustern der überlieferten Kontratänze zu entwerfen, zu verstehen und zu genießen. (Das ist natürlich kein wissenschaftlicher Beweis, daß der Kontratanz von den Wikingern entwickelt wurde; aber andererseits, wer sonst soll es getan haben?)

1651 wurde in London ein Buch aufgelegt: The English Dancing Master. Plaine and easie Rules for the Dancing of Country Dances ... to be sold by John Playford. (Der englische Tanzmeister. Klare und einfache Regeln für das Tanzen von Country Dance.) Das ist die älteste zuverlässige Quelle für diese Tanzart. Das Buch enthält Tänze in vielen verschiedenen Aufstellungen. Darum kann Country Dance als Oberbegriff gelten für alle traditionsverbundenen Gruppentänze. Viele der Tänze waren einfach genug, um als Volkstänze zu gelten; aber eine ganze Anzahl anderer Tänze war offenbar dafür bestimmt, vor einem sachverständigen Publikum aufgeführt zu werden. Gassentänze mit Untergruppen innerhalb der Gasse sind selten in der ersten Auflage von Playfords Buch. In den folgenden Auflagen wurden sie zur Regel. Die zweite Auflage erschien bereits 1652. Der Titel war nun zu „The Dancing Master“ (Der Tanzmeister) verkürzt. Die 18. und letzte Auflage erschien 1728 mit über 600 Tänzen in zwei Bänden, fast alle in der Form Kontra Einfach im Zwei- oder Dreisatz. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts muß sich der Stil des Kontratanzes so drastisch geändert haben wie der Stil des Square Dance zwischen 1940 und 1980.

In der Rokokozeit, als fröhliche Einfachkeit wieder Mode wurde, kamen französische Tanzmeister über den Kanal, um die englischen Tänze in Frankreich bekannt zu machen. Sie änderten den Namen Country Dance in Contre Danse (Gegenüber-Tanz). Das schien ihnen logischer, denn hier stehen sich Tänzer gegenüber. Anstelle die Tänze lediglich mit Worten zu beschreiben, wie es in den englischen Büchern üblich war, machten sie Zeichnungen der zu tanzenden Wege. Und sie gaben bestimmten Abfolgen Namen, mit denen sie aufgerufen werden konnten. Zwei dieser Namen werden noch allgemein benutzt: Dos-à-dos (Rücken an Rücken) und Allemande (Deutsche Drehung).

Bald waren englische Tänze in ganz Europa verbreitet. J. W. Goethe beschrieb in seiner Novelle „Die Leiden des Jungen Werther“ ausführlich einen ländlichen Ball der guten Gesellschaft, bei dem abwechselnd „deutsch“ und „englisch“ getanzt wurde.

Wir können aus dieser Erzählung schließen, daß Goethe selbst zu tanzen liebte, sonst hätte er nicht diese warmen Worte gefunden. Und er setzte voraus, daß jeder gebildete Leser die Grundregeln des Kontratanzes ausreichend kennt, um sich die geschilderten Szenen vorstellen zu können. Übrigens gab es damals keinen Caller. Das erste Paar tanzte die Figur vor, und die nächsten Paare folgten diesem Vorbild, wenn das vorige Paar weit genug die Gasse hinabgetanzt hatte.

„Weit genug“ meinte in der Regel zwei Plätze, so daß das nächste aktive Paar zwei Passiv-Paaren zum Tanzen vorfand. Kontras im Dreisatz waren die gewöhnliche Aufstellung während des 19. Jahrhunderts.

In Frankreich wurde eine andere Aufstellung populärer: zwei Paare stehen sich gegenüber. Bald wurden zwei weitere Paare im rechten Winkel dazugestellt, um die Tanzfläche abzugrenzen. Der bekannteste Tanz in dieser Aufstellung war DIE QUADRILLE mit den fünf Teilen Pantalon (die langen Hosen), Été (der Sommer), Poule (die Henne), Pastourelle (die Hirtin) und Final (Schluß).

Gegenüberstehende Paare führten zu einer neuen Art Bewegungen; z.B. die Damenkette ist ganz unmöglich, wenn eine Herrenreihe einer Damenreihe gegenübersteht, aber mit der Quadrille wurde sie beliebt. Und bald wurden versucht, sie in den Kontratanz zu übernehmen, wie ihr an dem folgenden Tanz sehen könnt. Er findet sich in dem Buch American Dancing Master, and Ball-Room Prompter / Boston - Elias Howe (1858) mit dieser Beschreibung:

NEW CENTURY HORNPIPE
First couple balance, swing once and a half round; ladies chain; first couple balance again and swing once and a half round to place; right and left four.

Und so interpretiere ich diese Beschreibung:

NEW  CENTURY  HORNPIPE
Kontra einfach im Zweisatz; überliefert
-   -   -   -   ; Aktive mit beiden Händen pendeln
-   -   -   -   ; Zweihand-Drehung anderthalb mal   (a)
-   -   -   -   ; Von diesem Platz aus Damenkette   (b)
-   -   -   -   ; Und zurück die Damenkette
-   -   -   -   ; Aktive mit beiden Händen pendeln
-   -   -   -   ; Zweihand-Drehung anderthalb mal
-   -   -   -   ; Zurück zur Linie, Englische Kette (c)
-   -   -   -   ; Und zurück Englische Kette
#   -   -   -   ; (Aktive mit beiden Händen pendeln ... )
# = Los von oben, jedes zweite Mal.
a) Die Aktiven geben sich beide Hände, pendeln vor und zurück, vor und zurück, und drehen in Uhrzeigersinn anderthalbmal herum. Dadurch entsteht ein Kontra kreuzüber.
b) Die Damen beginnen die Kette von der „vertauschten“ Seite, enden aber auf der „normalen“ Seite. Dadurch kommt der Fortschritt zustande.
c) Mit der zweiten Zweihand-Drehung kommen die Aktiven wieder zur schlichten Seite zurück. Sie tanzen mit demselben Passiv-Paar, das nun oberhalb steht, die Englische Kette, zwei Herren gegenüber zwei Damen.

Der Titel deutet darauf hin, daß dieser Tanz im Jahr 1799 geschrieben wurde.

Vielleicht fiel euch auf, daß New Century Hornpipe keinen Swing enthält, obwohl in der Original-Beschreibung Swing erwähnt wird. In englischen Tanzbeschreibungen aus jener Zeit bedeutet swing ‘round einen Kreis von zwei bis vielen Personen. Der Name deutet an, daß dies mit Schwung getanzt wurde, aber die Arme wurden dabei ausgestreckt. Doch einige Yankees wagten nun - ermutigt durch den Walzer - auf den Call swing your partner quite ‘round eine engere Fassung, und einige benutzten dazu den skandinavischen Hurretritt, und so entstand DER SWING, der großartigste Beitrag Amerikas zum Country Dance.

Bald darauf wurden Kontras erfunden, bei denen die aktiven Paare schon vor dem Anfang die Plätze tauschten. Dies wurde aber als unrein (improper) betrachtet. Die Bezeichnung improper wird noch benutzt, aber inzwischen ohne den Beigeschmack einer Übertretung.

1849 gab es den Goldrausch in Kalifornien, und Menschen aus allen Staaten der USA strömten dort zusammen. Viele kamen um, viele blieben dort, aber die meisten Goldsucher kamen wieder nach Hause; nicht unbedingt wohlhabender, aber sicher reicher an Erfahrung. Wahrscheinlich lernten sie auch verschiedene Stilarten des Tanzens kennen. Ich denke, daß damals der Swing in den ganzen USA verbreitet wurde. Er wurde freilich nicht in die Ballsäle der guten Gesellschaft zugelassen.

In England schrieb der Tanzmeister Thomas Wilson mehrere Bücher, die in „The Complete System of English Country Dancing“ gipfelten. Er machte den Countrydance systematisch perfekt und ganz und gar systematisch, und sargte ihn ein. In Amerika wurde Square- und Contradance durch den Swing lebendig erhalten.

Die Amerikaner entwickelten auch den Brauch, während des Tanzens zu prompten. (to prompt = Stichworte geben) Europäischen Besuchern kam dies seltsam und ungehörig vor, aber so war es möglich, daß alle Untergruppen in der Gasse gleichzeitig zu tanzen begannen. Sie mußten nicht mehr warten, bis das allererste Paar zu ihnen fortgeschritten war. Der Titel des oben erwähnten Buches „American Dancing Master and Ball Room Prompter“ zeigt, daß dieses Amt als selbstverständlich hingenommen wurde. Aber als Beth Tolman und Ralph Page 1937 ihr „Country Dance Book“ herausbrachten, hielten sie es immer noch für angebracht, darauf hinzuweisen, daß auch das dritte und fünfte Paar den Tanz beginnt.

Von New York an südwärts wurde nach der französischen Mode fast ausschließlich Quadrillen in Square-Aufstellung getanzt. Von Boston an nordwärts hielt man aber an der englischen Gassen-Formation fest. Das Buch von Elias Howe enthält 80 Quadrillen-Sets und 115 Kontratänze. Gut ein Drittel dieser Kontratänze wird noch heute getanzt; jedenfalls tauchen sie in Büchern aus den letzten 20 Jahren auf. Die Quadrillen sind alle längst vergessen.

In der Fin-de-Siècle Periode von 1880 bis 1900 wurde Volkstanz in Europa und Amerika vernachlässigt. Aber dann begann in England Cecil Sharp die alt-englischen Country Dances zu erforschen, sowohl was in ländlichen Gegenden noch getanzt wurde, wie auch was er in Büchern aus der Playford-Zeit fand. Dies führte zur Gründung der English Folk Dance and Song Society (EFDSS). In den zwanziger Jahren brachte Henry Ford den Tanzmeister Benjamin Lovett von Neu-England nach Detroit, um „altmodisches“ Tanzen wiederzubeleben. Bald darauf begann Lloyd Shaw, ein Schulrektor aus Colorado, den Square Dance am Fuß der Rocky Mountains zu erforschen, und machte die USA ihres Erbes bewußt. Der daraus folgende Square Dance Boom der vierziger und fünfziger Jahre erweckte auch vermehrtes Interesse an Contra Dance. Der sich ändernde Stil des Square Dance bedingte nun einen anderen Stil im Contra Dance. Kontra kreuzüber im Zweisatz wurde die Regel. Der Unterschied zwischen den aktiven und passiven Paaren wurde verringert oder ganz vermieden. Ralph Page Herbie Gaudreau, ein Square Dance Caller und Contra Enthusiast, schrieb eine Menge „Moderne Contras“ und machte Merkmale wie doppelten Fortschritt, automatisches Überwechseln und die Becket Aufstellung bekannt. Die führende Autorität im Bereich des Contra Dance war aber unbestritten Ralph Page, der das Prompten in einer ungebrochenen Familien-Tradition gelernt hatte.

Bald entwickelte sich der moderne oder clubmäßige Square Dance in eine Richtung, in die der Contra Dance nicht folgen konnte, ohne seine Identität zu verlieren: Alle Calls wurden spontan zusammengerührt, der Caller wurde übermächtig, die Struktur der Musik zweitrangig. So wurden Contra Dance und Square Dance entfremdet.

Das führt aber bereits ins nächste Kapitel: STILARTEN DES KONTRATANZES

(Dies ist ein Kapitel meines Buches Leitfaden Contra Dance.)


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Veröffentlicht 2006-12-31   /   Heiner Fischle, Hannover